Frau Buschmeyer, Sie haben bei der Fachtagung ‚Lockdown als Chance? Weichenstellungen für mehr väterliches Engagement‘ über Ergebnisse der Studie ‚Mütter und Väter während der Corona-Pandemie – Vereinbarkeit von Homeschooling, Kinderbetreuung und Erwerbsarbeit‘ berichtet.
In Ihrer Untersuchung sind Unterschiede zwischen dem ersten Lockdown im Frühjahr 2020 und dem zweiten im Winter 20/21 sichtbar geworden. Wie haben sich diese jeweils auf Erwerbs- und Caretätigkeit von Vätern ausgewirkt?
Wir können in unseren Interviews mit den Vätern, aber auch in denen mit den Müttern, sehen, dass im ersten Lockdown, als auch die Erwerbsarbeit häufig etwas runtergefahren war, die Väter mehr Carearbeit zuhause übernommen haben. Insbesondere die Väter, bei denen Dienstreisen oder lange Pendel-Strecken weggefallen sind, waren mehr zu Hause und haben diese Zeit auch in die Kinderbetreuung investiert. Die befragten Väter haben erzählt, dass sie es sehr genossen haben, so viel Zeit mit der Familie zu verbringen und zum Beispiel mehrmals täglich mit der Familie zu essen. Allerdings haben wir ja nur Führungskräfte befragt, und bei den meisten von ihnen war die Pandemie auch mit neuen Herausforderungen bei der Erwerbsarbeit verbunden, etwa, weil Arbeitsprozesse umgestellt und Führungsarbeit digitalisiert werden musste. Die Väter, die das ungestört in einem Arbeitszimmer erledigen konnten, hatten es da etwas leichter, als die Mütter, die am Küchentisch versucht haben, Beruf und Familie zu vereinbaren.
Im zweiten Lockdown haben wir die positiven Elemente, im Sinne von „mehr Zeit für die Familie“ kaum noch gefunden. Fast alle Eltern sind erschöpft gewesen und sehr viele haben jede sich bietende Möglichkeit genutzt, die Kinder in die Betreuung zu geben. Wenn dies nicht möglich war, war es für die Väter sehr schwer, berufliche und familiäre Anforderungen zu vereinbaren. Die Anforderungen der Erwerbsarbeit haben das Vor-Pandemie-Niveau meistens wieder erreicht und das Wegfallen von Dienstreisen wird durch eine endlose Aneinanderreihung von Videokonferenzen aufgehoben. Nur ein Vater, der sonst unter der Woche gar nicht zuhause war, weil er in einer anderen Stadt arbeitet, konnte immer noch die Vorzüge des Homeoffice sehen. In diesem Fall ist allerdings auch seine Partnerin in Elternzeit und er kann seine Arbeitszeiten relativ vollständig einhalten. Ihm fehlt lediglich der räumliche und zeitliche Abstand zwischen Erwerbs- und Familienarbeit. Sein Anspruch, abends eines der Kinder ins Bett zu bringen, kann aber durch die Möglichkeit, zuhause zu arbeiten, erfüllt werden.
Die Väter, die selbst den Anspruch haben, sich in der Familienarbeit zu annähernd gleichen Teilen einzubringen, wie ihre Partnerinnen, erleben eine Zerrissenheit zwischen Beruf und Familie, die sie so noch nicht kannten. Sie fühlen, dass sie beiden Bereichen nicht ausreichend gerecht werden können.
Momentan stehen wir ja zu Beginn einer vierten Welle. Ein weiterer Lockdown steht zwar momentan nicht zur Debatte, aber völlig auszuschließen ist er nicht. Was empfehlen Sie Vätern und ihren Familien in dieser Situation?
Zunächst mal empfehle ich allen Vätern sich daran zu erinnern, was sie im ersten Lockdown vielleicht auch als ganz positiv erlebt haben, und dann zu versuchen, daran wieder anzuknüpfen. Häufig waren das die gemeinsamen Mahlzeiten, Waldspaziergänge, oder auch Projekte wie Fahrradfahren lernen, Lego zu bauen etc. Wenn die Zeit nur als negativ erlebt wird und es ständig Konflikte darum gibt, wie sich Sorgearbeit der Erwerbsarbeit unterordnen kann, wird es schwierig. Dazu gehört auch, sich zu fragen, welcher Teil der Erwerbsarbeit auch mal eine Weile ruhen kann, was wirklich wichtig ist, wo Freiräume geschaffen werden können, die dann für Zeit mit der Familie, Kinderbetreuung, Homeschooling aber auch den Haushalt etc. genutzt werden kann.
Und dann ist es wohl das wichtigste, mit der Partnerin oder Ex-Partnerin im Gespräch zu bleiben, wie es für beide am besten gehen kann. Die Konflikte darum, welcher Job der wichtigere ist und wann wer Anspruch hat, in Ruhe zu arbeiten, haben viele Beziehungen belastet. Wichtig ist, dass es nicht auf den Schultern nur einer Person lastet, die Zeiten der fehlenden Betreuungsinfrastruktur zu überbrücken. Auch wenn eine*r mehr Zeit dafür übrighat, oder die Familie sich auf dieses Modell geeinigt hat, ist es meistens sehr erschöpfend alleine für die Sorgearbeit zuständig zu sein. Das heißt, es gilt einen klaren Plan zu fassen, diesen auch möglichst einzuhalten oder gemeinsam zu verbessern. Sorge- und Erwerbsarbeit sind dabei beides als Arbeit anzusehen, damit gar nicht erst der Gedanke aufkommt, eine*e hätte ja den ganzen Tag nichts gearbeitet, und könnte nun auch mal ‚mit anfassen‘. Dabei sollte versucht werden, auch ‚Freizeit‘ für einen selbst einzuplanen. Dies ist zwar schwer zu realisieren, lädt aber den Akku zumindest kurzfristig wieder auf.
Grundsätzlich gilt, je mehr Menschen sich die Sorgearbeit teilen, umso besser ist sie zu leisten und umso mehr kann sie auch Freude bereiten. Das heißt, auch ein Netzwerk aus Nachbar*innen oder Freund*innen sollte im jeweils erlaubten Rahmen mit in die Sorgearbeit eingebunden werden, um sich gegenseitig zu entlasten.
Bei Ihrem Fazit haben Sie sich skeptisch geäußert, was die langfristigen Effekte der Erfahrungen von Vätern in der ersten Coronawelle angeht. Welche Veränderungen sind Ihrer Meinung nach erforderlich, damit diese Erfahrungen auch langfristig zu mehr väterlichem Engagement führen?
Unsere und andere Daten deuten tatsächlich eher darauf hin, dass alle froh sind, wenn es wieder wird wie ‚vorher‘. Damit dies nicht passiert oder zumindest, die Tendenz zu mehr gleichberechtigter Verteilung der Sorgearbeit weitergeht, sollten Paare darüber sprechen, wie sie die Bedürfnisse beider Elternteile gut realisieren können. Gegenseitige Anerkennung, dass sowohl ohne Erwerbs- als auch ohne Sorgearbeit nicht funktioniert und beides anspruchsvolle Tätigkeiten sind, ist schon ein großer Schritt. Es haben wohl alle Eltern in der Corona-Pandemie gelernt, wie anstrengend es sein kann, den ganzen (oder auch nur einen halben) Tag für die Betreuung oder Beschulung von Kindern und einen Haushalt zuständig zu sein.
Für mehr väterliches Engagement ist es vermutlich nötig, auch an der Stellschraube Erwerbsarbeit zu drehen und den Stellenwert der eigenen Erwerbsarbeit in Frage zu stellen. Natürlich ist dies sehr von der eigenen wirtschaftlichen Situation abhängig, aber zumindest die Frage zuzulassen, ob es wirklich nur finanzielle Gründe sind, die gegen mehr väterliches Engagement sprechen, sollte erlaubt sein. Bei einer gleichmäßigeren Aufteilung von Erwerbs- und Sorgearbeit können zwei Einkommen ja auch eine gute Grundlage für das Familieneinkommen sein.
Grundsätzlich scheint es vielen Vätern eigentlich ein Bedürfnis zu sein, zumindest überlange Arbeitstage und Überstunden zu reduzieren, um mehr Zeit für die Familie zu haben – gleichzeitig tun sie es nicht. Und dann gilt natürlich, dass jede Arbeitsstunde, die im Büro verbracht wird, nicht für die Familie zur Verfügung steht. Hier müssten sich vermutlich kulturelle Muster vom Vater als Familienernährer und vom (männlichen) Arbeitnehmer als allzeitverfügbaren Mitarbeiter ändern. Die Pandemie hat bisher gezeigt, dass zumindest die Anwesenheitskultur in vielen Berufen bröckelt. Vielleicht kann dies ja der Anfang sein, als Vater auch für seinen Wunsch einzustehen, mehr zuhause und dort auch wirklich verfügbar zu sein und damit auch andere traditionelle Muster zu überwinden.