Du bist schon lange in der Geburtsvorbereitung für Väter tätig. Wie war der Blick darauf, als du mit dieser Arbeit begonnen hast?
Ja, ich habe damit angefangen 2004. Also das ist jetzt wirklich 18 Jahre her. Das heißt, die Geburtsvorbereitung ist jetzt endlich volljährig. Wir haben damals ein Projekt gestartet, noch mit Martin Verlinden im Sozialpädagogischen Institut. Es gab schon ein bisschen Geburtsvorbereitung für Väter, die war unstrukturiert, noch nicht wirklich aufgearbeitet, auch nicht evaluiert. Und salopp würde ich jetzt sagen, dass man die Väter in der Regel davon überzeugen musste, an diesen Stunden teilzunehmen, weil die selber wenig davon gehört hatten, und wenig Ideen hatten im Zusammenhang mit der Geburtsvorbereitung. Die war und ist weiblich konnotiert und die Väter kamen da überhaupt nicht vor.
Die Väter konnten dann in der Regel mit dem Angebot super viel anfangen, waren im Nachhinein sehr überrascht, fanden das toll, waren aber sozusagen von der Erwartungshaltung mehr auf so technische Dinge eingestellt, die eine Geburt mitbringt: wie atmen, Stellungen einnehmen, Frau unterstützen, das war so der Fokus. Und die eigenen Themen, die eine Rolle spielten, waren selten Gegenstand. Es waren eher die Erwartungsfragen, die wir damals an die Väter gerichtet haben. Im Nachhinein war das Feedback aber häufig so, dass da der Wunsch geäußert wurde, sich mehr unter Vätern zu treffen, dass der Fokus auf die eigene Befindlichkeit während des Geburtsvorgangs als hilfreich empfunden wurde. Also auch solche Fragen, wie: Was kann ich machen, wenn es mir zu viel wird? Wo bleibt meine eigene Unversehrtheit? Und so weiter. Und es war auch häufig dieser Aspekt: Wir sind ja Männer. Wir werden Väter. Wenn das Kind auf der Welt ist, dann wird es für uns viel interessanter. Da bestand viel Bedarf, dazu mehr Informationen zu bekommen.
Also wie baue ich eine gute Beziehung auf? Wie gehe ich mit dem Kind um, wenn meine Frau das eigentlich viel mehr für sich vereinnahmt? Wie regle ich das mit dem Arbeitgeber? Damals war das Elterngeld und die Novelle des Gesetzes gerade neu, aber noch nicht so differenziert, wie wir es jetzt haben. Also da gab es viel Beratungsbedarf in die Richtung für die Zeit nach der Geburt. Was Väter für sich tatsächlich als Thema dann begriffen hatten. Ich kann mich erinnern, dass ich auch bei Hebammen viel Überzeugungsarbeit leisten musste, weil das in dem Feld damals noch nicht üblich war und manchmal sogar auch als Angriff verstanden wurde, dass da jetzt Männer kommen und in ein weiblich konnotiertes Feld hineinarbeiten wollen. Also das war auch immer viel Überzeugungsarbeit, dann meinen Standpunkt zu erklären und meinen Ansatz und den Nutzen, der natürlich ein riesengroßer Synergieeffekt ist, darzulegen.
Und ich fand es dann spannend, als dann die Familienhebamme quasi „geboren“ wurde und sich dann auch über die frühen Hilfen, die damals eingeführt wurden, das Thema Gewaltprävention auch auf dem Plan stand. Ich habe versucht, da wissenschaftlich so ein bisschen mehr zu argumentieren und die Geburtsvorbereitung auch als Gewaltprävention zu etablieren.
Ich habe versucht, den Kurs auch unter verschiedenen Akzenten zu differenzieren: bildungsgewohnte Väter, Väter mit Migrationshintergrund, Väter aus sozial schwächer strukturierteren Familien, Väter in der Stadt, auf dem Land und so weiter. Das war allerdings nur bedingt möglich, weil vor allem bildungsgewohnte Väter Zugänge zur Geburtsvorbereitung hatten.
Was hat sich seitdem verändert?
Vor allem ist es das Selbstverständnis, das sich sehr stark verändert hat und das in zwei Richtungen. Auf der einen Seite gibt es ein Umdenken. Die neuen Väter, die sich ja mittlerweile fragen, ob sie nicht vielleicht auch neue Mütter bräuchten, die sind ja damals „erfunden“ und haben sich ja auch weiterentwickelt. Nicht nur zahlenmäßig, wir wissen es von den ganzen Untersuchungen, neben den ganzen Bekunden mehr Carearbeit machen zu wollen, gibt es ja tatsächlich auch Väter, die dies machen. Und auf der anderen Seite, das habe ich immer wieder festgestellt, es ist wichtig, wenn Politik Rahmenbedingungen schafft, die Gesellschaft aufgreifen kann. Und durch die Veränderungen des Elterngeldes in vor allem der Elternzeit ist tatsächlich das Bedürfnis der stillen Gruppe der Väter, die sich gerne auch mehr engagieren, getroffen wurden. Und es waren diese beiden Bewegungen, die dazu geführt haben, dass das Thema mittlerweile selbstverständlich ist.
Mein Kurs ist im letzten Jahr auch in einem Fernsehfeature aufgenommen worden. Und es wurde immer wieder bekräftigt, ja, das ist eine super Sache. Warum gibt es das eigentlich so wenig?
Die Väter melden sich heute selbst an. Wir haben keinen Kurs, der auch nur einen Platz frei hätte. Es gibt einen Riesenbedarf, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen, weil immer mehr verstanden wird, dass diese ganzen „weichen“ Themen wie Bindungen, Beziehungen aufbauen, Regulation, Gesundheitsprävention einfach eine große Bedeutung haben. Es gibt mittlerweile ein unübersichtliches Angebot an Büchern, Ratgebern, Podcasts und Sendungen, die Geburtsvorbereitung für Väter hat vor diesem Hintergrund an Bedeutung gewonnen und ist zu einer Selbstverständlichkeit geworden, zumindest in der Stadt Was mich sehr freut.
Welchen Stellenwert räumt das System ‚Geburtsvorbereitung‘, räumen die Hebammen, die Ärzt*innen und die Geburtskliniken den Vätern ein?
Das hängt oft davon ab, was mit dem Begriff verbunden wird. Also wer Geburtsvorbereitung als technische Vorbereitung auf die Geburt versteht, was es ja ursprünglich auch sein sollte, der versteht oder die Personengruppen verstehen, den Ansatz, den ich seit Jahren vertrete, nicht. Für mich steht das Familiensystem, das sich in einem Übergang, einer Transition befindet im Mittelpunkt und die ganzen Verarbeitungsprozesse, die stattfinden.
Es hängt also davon ab, was man unter Geburtsvorbereitung versteht. Wenn da eine Übereinstimmung gibt, dann ist das System super aufgeschlossen und sehr hilfreich, und da sind Hebammen super gerne bereit, zu kooperieren. Auch Geburtskliniken, auch Familienbildungsstätten sind da immer sehr interessiert, diese Angebote dann in ihrem Programm aufzunehmen.
Aber dort, wo die „technischen“ Vorgänge: Wie ist es im Kreißsaal? Wie ist es im OP? Was braucht die Frau? Welche Phasen in der Geburt passieren? Welche Rolle kann der Mann einnehmen? Und was macht er beim Kaiserschnitt? Und wie gestalten sich vielleicht die ersten drei bis fünf Tage noch zu Hause oder in der Klinik als Wochenbettstart? Da ist es häufig noch nicht so etabliert.
Das liegt auch an dem etwas ungeschickten Namen, das dann als Geburtsvorbereitung zu bezeichnen. Man müsste das vielleicht Elternkurs nennen. Aber da bin ich mir auch noch nicht so sicher, welcher der passendere Name ist, wenn man mehr die psychosozialen Faktoren in den Blick nimmt. Aber prinzipiell ist es so, die meisten erkennen mittlerweile den wirklichen Mehrwert dieses Ansatzes und sind sehr aufgeschlossen.
Wie hat sich die Corona Pandemie auf die Einbeziehung von Vätern in das Geburtsgeschehen ausgewirkt?
Die Väter wurden vom System ausgesperrt, einfach auch aufgrund der verständlichen Sorge vor Infektionen. Das hat bei den Vätern häufig dazu geführt, dass sie sich vom System verstoßen gefühlt haben. Das hat aber gleichzeitig eine Gegenbewegung in den Familien ausgelöst. Dadurch, dass ja Homeoffice Pflicht war und die Zeit einfach auch dann mit der schwangeren Partnerin ein viel größeres „Paket“ geworden ist, ist da auf der Beziehungsebene innerhalb der Familien ganz viel gewachsen.
Und wir sehen jetzt tatsächlich auch wieder so eine etwas deutlichere Gegenbewegung. Dadurch, dass die Väter wieder mehr draußen, im Außen arbeiten und sich nicht mehr in gleichen Maßen auf die Familie konzentrieren müssen, weil ja Sozialkontakte nicht mehr so stark eingeschränkt sind, jetzt geht das tatsächlich etwas zurück.
Ich habe damals einen Kurs für werdende Väter angeboten, den wir zuerst auch online durchführen mussten. Der hat sich bis heute etabliert. Dass war das Beste, was wir machen konnten, online zu starten, der Kurs wurde supergut angenommen, da die ganzen Angebote im Draußen ja verboten waren. Do haben wir diesen online Kurs etablieren können.
Ich habe den Eindruck, dass gerade auch die Pandemie die Auseinandersetzung mit den Themen, und das ist ja ein ganz wichtiges Thema: Werde ich Eltern? Welche Rolle nehme ich ein? Wie funktioniert das mit der Partnerin? Dass die Pandemie hier dem einen deutlichen Schub gegeben hat. Das war quasi ein positiver Effekt, der da stattgefunden hat. Also der Stellenwert ist größer geworden. Die Selbstverständlichkeit sich damit auseinanderzusetzen ist größer geworden, die Bezogenheit der Paare, in der Zeit auch deutlich. Auch die Auseinandersetzungen, weil Konflikte natürlich auch eher dann auftreten, wenn man mehr Gelegenheiten hat, sich auseinandersetzen und miteinander wieder zusammenzufügen.
Das ist ein gutes Stichwort. Was muss deiner Meinung nach politisch und gesellschaftlich verändert werden, damit Väter von Anfang an in den Prozess des Vaterwerdens einbezogen werden, die Geburt bewusst miterleben und sich auch von Anfang als Vaters bedeutsam erleben zu können?
Ich glaube, dass es zwei Bewegungen braucht. Eine, aus den Männern und Vätern und auch der Gesellschaft selber. Und das andere ist natürlich Politik, die durch Rahmenbedingungen viel gestalten kann. Ich glaube, dass Politik an der Stelle vielleicht mal nachdenken sollte, ob wir nicht auch hier moderne Gesetze brauchen, die auch die Väter in „Schutz nehmen“. Also die ihnen auf der einen Seite mehr Zeit einräumen, die sie gesetzlich geltend machen können, vielleicht auch schon parallel oder analog zum Mutterschutz. Dass es vielleicht den Elternschutz gibt. Also die Mütter müssen natürlich, medizinisch betrachtet, auf jeden Fall geschützt werden, aber auch für uns Männer ist es natürlich eine Auseinandersetzung. Und die funktioniert besser, wenn ich dazu Gelegenheiten bekomme.
Das wäre ein sehr hilfreiches Moment, dass wir auch vor der Geburt rausgenommen werden können, ja, dass wir uns mehr mit den Familien beschäftigen können und das vielleicht nicht am Gesundheitszustand der Frau festgemacht wird. Das könnte man auch überlegen, ob das Sinn macht. Ich bin der Überzeugung, Väter haben ein eigenes Recht darauf, sich vorbereiten und einlassen zu können und einzustimmen. Das käme natürlich auch der ganzen Familien zugute.
Vielleicht könnte man auch über, flexibler gestaltete Lebensarbeitszeitmodelle nachdenken. Ja, dass man sagt: Es gibt vielleicht einen Riesenbatzen an Jahren, die ich arbeite, und davon stehen mir so und so viel Prozent zu und ich kann die flexibel einstellen und einsetzen. Also nicht wie eine sehr umgrenzte Elternzeit, sondern das Ganze über einen längeren Zeitraum gedacht. Das wäre eine hilfreiche Sache. Und es ist natürlich auch immer eine Frage der Finanzierung. Und da brauchen wir einfach auch ein tragendes System, das genug Geld zur Verfügung stellt, dass Familien in dieser Zeit, in der natürlich dann Einkommensverluste kalkuliert und ausgeglichen werden müssen, dass das kompensiert.
Dazu habe ich weniger Ideen, weil ich eher psychologisch denke. Aber ich glaube, dass es ein ganz entscheidender Faktor ist. Das kann ich auf jeden Fall sagen. Und von der Väterseite ist es ja nun mal so: Wer bringt uns bei, ‚wie Papa geht‘? Das wird gesellschaftlich weniger kommuniziert. Väter brauchen an der Stelle Räume für sich.
Ich bin der Überzeugung, dass es gut ist, Männer anzusprechen und ihnen Möglichkeiten anzubieten. Es ist hilfreich, wenn in Arztpraxen, in gynäkologischen Praxen, in Krankenhäusern einfach mehr auf Väter und Mütter fokussiert würde und weniger auf Frauen. Männer haben hier ein riesengroßes Austauschbedürfnis und sprechen über die Fragen und Sorgen, wenn sie eine Gelegenheit dazu haben. Es braucht eine stetige Veränderung in Richtung der Bedürfnisse aller Beteiligten.
Du hast vorhin erwähnt, dass das, ne, in dem Fernsehbeitrag auch die Rede davon war, dass es zu wenig Angebote der Geburtsvorbereitung gibt. Was müsste, was könnte sich da strukturell verändern, damit es diese Angebote wirklich flächendeckend im Land gibt?
Heute ist alles „data based evidence“. Also wenn wir es schaffen, eine Studie besser zwei oder drei belastbare, mit einer wirklich starken Aussage hinkriegen, die belegen würden, was wir an guter Arbeit tun. Davon bin ich überzeugt, dann könnte man ja möglicherweise über Krankenkassenfinanzierung nachdenken. Geburtsvorbereitung ist in dem Sinne auch Gesundheitsprävention. Die wird von den Krankenkassen für die Frauen übernommen. Für Männer ist es nicht im Regelkatalog verankert, aber die Kassen haben die Möglichkeit, hier und da ein bisschen an Zuschüssen zu vergeben. Aber sie überlegen sich, ob sie das dann vielleicht eher für Erkältungsarzneimittel einsetzen oder eben für die Geburtsvorbereitung für Väter. Also eine Studie wäre an dieser Stelle sehr hilfreich.
Und dann müsste es natürlich entsprechend viele Angebote geben. Und dafür müsste es ja auch Leute geben, die das können, also die sich im Thema sicher fühlen und die dazu ausgebildet sind. Und es braucht Angebotsstrukturen. Und da wäre auch zu überlegen, inwieweit so was dann verpflichtend ist oder flächendeckend angeboten wird. Das wäre hilfreich, wenn wir da ein wenig regulierend rangehen und initiieren.
Und man müsste einfach auch darüber nachdenken, wie kriegt man in unterschiedlichen strukturierten Gebieten, in den Sozialräumen passende Angebote etabliert. Ich denke, auch über Betriebe ist viel möglich. Angestellte, aber auch Handwerker würden natürlich über ihr Arbeitgeber leichter erreicht werden können.
Man könnte das Thema auch mit Gleichstellungsstellen diskutieren und versuchen aus der Ecke rauskommen, in der wir manchmal noch stecken. Aber auch die Gleichstellung, die häufig, „einseitig feministisch“ gedacht und gehandhabt wird. Also wir müssen wahrscheinlich noch sehr viel Aufklärungsarbeit leisten.
Auch was klassische Männerarbeit betrifft, ist es eher ein weicheres Thema, wo ich oft Gespräche geführt und lange gebraucht habe, um verstanden zu werden. Weil es auch dort leider noch nicht so angekommen ist. Ich denke auch da brauchen wir noch mehr Informationen. Dazu ist es auch wichtig, noch mal an die Hochschulen zu gehen und das Thema auch dort zu platzieren, zu transportieren und auch zu lehren, ne. Also es ist noch viel Arbeit, aber es gibt auch viele Möglichkeiten.
Vielen Dank für das Gespräch