Professor Uslucan im Interview zu den Wirkungen des Projekt ‚Interkulturelle Väterarbeit in NRW‘
Von 2014 bis 2016 wurde das Projekt ‚Interkulturelle Väterarbeit in NRW‘ gefördert. Was waren die Ergebnisse des Vorhabens?
Also wir haben ja das Projekt, was ja unter anderem vor allem von Herrn Michael Tunç durchgeführt wurde, auch unter meiner Leitung. Wir haben es an acht verschiedenen Regionen NRWs durchgeführt. Einmal haben wir festgestellt, dass bestimmte, ich sage mal, Stereotype, Bilder, Vorurteile über Männer beziehungsweise Väter mit Migrationshintergrund grundlegend widerlegt werden konnten. So die Vorstellung, es ist sozusagen, ja, so matriarchal organisiert, Erziehung ist weiblich, weibliche oder beziehungsweise Arbeit der Frauen, Männer halten sich zurück.
Also solche Bilder, vor allem auch über türkische Männer, türkische Väter, herrschten ja lange vor. Und in diesem Projekt haben wir sehen können, dass die Väter, die wir sozusagen auch angetroffen haben, die in diesen Projekten, natürlich ist es eine Selektion, das ist/ das muss man auch wissen. Wir haben natürlich die, die engagiert waren erreicht.
Aber zumindest die haben gezeigt beziehungsweise sich geäußert sowohl in den direkten Gesprächen, aber auch in der Befragung, dass sie ein hohes Maß an Engagement in der Erziehung zeigen, dass sie sozusagen auch eine andere Form von Väterlichkeit auch leben wollen. Auch eine andere, die sowohl von der Mehrheitsgesellschaft als auch vielleicht sozusagen von der eigenen Kultur manchmal zugedacht wird, so im Sinne von, Väter haben ja für das Außen, also sozusagen Geld verdienen und die Außenwirklichkeit, und Mütter für das Innen, das Haus zuständig. Dass sie einfach mit diesem Modell so nicht einverstanden sind, sondern auch andere Rollen, auch andere Formen von Väterlichkeit leben wollen, sich sehr stark engagieren wollen, auch in der Erziehung, Entwicklung ihrer Kinder. Und letztlich dadurch auch an mehrheitsgesellschaftlichen Trends, also jetzt in den letzten zehn, zwanzig Jahren an aktive Väterlichkeit auch teilhaben wollen.
Wenn man das jetzt wissenschaftlich festhalten will, kann man sagen, drei zentrale Ergebnisse waren für uns relevant. Eins ist unabhängig von Migrationshintergrund. Das ist die pädagogisch-psychologische Bedeutsamkeit von Vätern für die Entwicklung von Kindern, von allen Kindern. Nicht nur von einheimischen, sondern auch von Kindern mit Zuwanderungsgeschichte. Das ist immer dort, wo sozusagen Vater-Kind-Konstellationen eng, einfühlsam zusammenarbeiten. Dass es sowohl für das Selbstbewusstsein der Kinder wichtig ist, aber auch für die Selbstwahrnehmung der Väter, also sozusagen pädagogisch-psychologische.
Dann ein Punkt, der vielleicht, ich sage mal, schon auch ein Novum ist für Migrantenfamilien, die wir im Vordergrund hatten, familienpolitische Aspekte. Dass sozusagen dadurch auch in der Partnerschaft sich ändert. Also sagen wir, ein stärkerer Zug zum Egalitarismus, also eine andere Aufteilung der Erziehungsarbeit und letztlich auch dadurch die Entlastung der Mütter beziehungsweise der Frauen. Auch die Wahrnehmung der, ich sage mal, Frau, der Mutter als Partnerin, nicht nur als Mutter. Und durch diese Aufteilung der Rolle auch eine wechselseitige andere Wahrnehmung.
Und ein dritter Punkt, was ich eben gesagt habe, integrationspolitisch, dass dadurch auch die Wahrnehmung der Väter mit Zuwanderungsgeschichte eine andere ist. Ich will nur zwei Punkte aufarbeiten, wo es die größten Differenzen gab.
Die größten Differenzen gab es bei der gewaltfreien Erziehung, also die Relevanz der gewaltfreien Erziehung. Das ist sozusagen, durch die Kurse habe ich erkannt, wie wichtig das ist. Und ein zweiter Aspekt, der nicht minder wichtig ist, die Bedeutung der Schule, der Bildung, also Schulerfolg, sich für den Schulerfolg zu interessieren, zu engagieren.
Ich bin selbst Bildungspsychologe und spätestens seit PISA wissen wir, dass Schülerleistungen nicht nur Schülerleistungen sind, sondern auch Elternleistungen sind, nicht nur Leistungen der Schule, sondern auch die der Eltern. Das ist ungerecht, aber unabhängig davon haben die von uns befragten Väter erkannt, es kommt auch auf mich an. Also es kommt auch auf uns an, dass wir uns engagieren, dass wir uns einbringen, dass wir fördern, dass wir den Kontakt zur Schule halten. Und letztlich sozusagen, wie relevant Väterarbeit für den Schulerfolg der Kinder ist. An den beiden Punkten gab es die größten Differenzen zwischen vorher und nachher.
Ein weiterer Aspekt war auch die soziale Vernetzung. Dass sie erkannt haben: „Es ist wichtig, auch mit andern Vätern ins Gespräch zu kommen“, weil „Es sind nicht nur meine Sorgen, sondern es sind Sorgen auch anderer Väter.“ Und durch diese Väterarbeit auch eine Art von Vernetzung, was letztlich auch Solidarpotenziale aufbauen hilft und dazu führt, dass man auch entlastet ist, weil man merkt, das ist nicht nur etwas, was einen selbst betrifft.
Vor welchen Herausforderungen stehen diejenigen, die interkulturelle Väterarbeit machen heute und in Zukunft?
Wir haben seit 2015 natürlich einen starken Umbruch als Migrationsgesellschaft, als Einwanderungsgesellschaft. Natürlich wäre es wichtig hier, jetzt in einem Folgeprojekt beispielsweise, Kinder und Väter mit Fluchthintergrund in ähnliche Projekte aufzunehmen. Wir haben in unserem Projekt ja sehr stark türkische, spanische, griechische … also die klassische Gastarbeitergeneration gehabt.
Das wäre etwas, was, glaube ich, wichtig ist jetzt nach fünf, sechs Jahren, wo man sagen kann, gut, erste Einbindung in den Arbeitsmarkt, Wohnungsmarkt ist mehr oder weniger einigermaßen gut erfolgt. Was jetzt kommt sind eher so die, ich sage es mal, weichen Aspekte. Vielleicht zum einen Traumabearbeitung, Fragen von Erziehung, aber auch Fragen von Eltern-Kind-Beziehung, Vater-Kind-Beziehung.
Das wäre etwas, was vielleicht künftige Projekte stärker adressieren müssten. Auch dort eine andere Form von Väterlichkeit. Und wenn wir wissen, dass beispielsweise in dem ersten Projekt die Relevanz gewaltfreier Erziehung so ein wichtiger Aspekt ist. Und ja, wir leben jetzt seit zwei Wochen wieder in einer Welt voller Gewalt. Also wie wichtig das ist, sei es gewaltfreie Kommunikation in der Eltern-Kind-Beziehung, aber sei es auch die Rolle von Erziehung, väterlicher Erziehung, stärker zu vermitteln. Da sehe ich einen großen Bedarf in diesen Communities, arabischsprachige, möglicherweise künftig auch russisch-ukrainische. Also wir haben jetzt auch mit neuen Fluchtzuwanderungen zu rechnen. Genau solche Projekte auch in der neuen Zuwanderergruppe zu adressieren, diese Gruppen einzubinden.
Welche nachhaltigen Wirkungen sind heute, 6 Jahre nach dem Ende der Förderung, noch zu sehen bzw. zu spüren.
Empirisch kann ich das jetzt nicht beantworten, weil wir jetzt keine Befragung gemacht haben. Aber generell ist es so, immer dort, wo Menschen sozusagen in die Kurse selbst einbezogen sind, selbst mitmachen, selbst aktiv sind, so etwas ist immer nachhaltiger als nur, ich sage mal, Belehrung, als nur jetzt mit den Vätern einen Kurs zu machen, wo sie über richtige Erziehung belehrt werden.
Wie stark das nachhaltig ist, wie weit das sozusagen durchgeführt wird, das hängt natürlich auch von sehr vielen andern Faktoren ab. Das sind nicht nur Aspekte des Kurses, ne? Manchmal ist es ja auch eine veränderte Wahrnehmung, dass plötzlich sozusagen auch die Familienkonstellation besser ist, das Kinder dadurch leichter erziehbar werden. Und wenn sie leichter erziehbar sind, sind Effekte oft besser zu erreichen, als wenn man immer wieder mit, ja, Windmühlen, mit Schwierigkeiten zu kämpfen hat.
Direkt empirisch kann ich Ihnen keine Zahl jetzt nennen, wie stark die Effekte sind. Aber zumindest aus den Gesprächen mit den Vätern wissen wir, dass das etwas war, wo sie sich zum ersten Mal auch gefragt fühlen, adressiert fühlen und sagen: „Okay, also wir werden als kompetent wahrgenommen.“ Und das ist, glaube ich, ein ganz wichtiger Aspekt, dass sie in ihrer Kompetenz und nicht nur defizitär gesehen werden.
Vatersein ist was Schönes, und wenn sie über individuelle Erfahrungen aus der eigenen Kindheit positive Aspekte zum eigenen Vater, Väterlichkeit anders wahrnehmen können. Also wo wir wirklich Personen, ich sage mal, so fast zwingen, positive Aspekte zu sehen, auch wenn sie eine schwierige Kindheit hatten, dann aber merken: „Ja, stimmt, Mensch. Also wie kann ich das, was ich selbst als Kind positiv erfahren habe von meinem Vater, wie kann ich das meinem Kind weitergeben?“ Also diese Art der Reflexion ist für Väter, die vielleicht jetzt nicht akademisch, sozialwissenschaftlich-pädagogisch geschult sind, schon was Neues.
Und da glaube ich, dass das in der Tat was nachhaltig ist. Es ist eine Perspektivübernahme, denk mal darüber nach, also entdecke das Kind in dir selber. Und das ist ja so etwas, was sie sonst im eigenen Alltag so nie konfrontiert werden mit diesen Fragen. Da, glaube ich, ist eine starke Nachhaltigkeit. Für andere, die ohnehin jetzt pädagogisch arbeiten, ist das vielleicht Teil des Tagesgeschäftes, sozusagen Perspektivübernahme, Rollenübernahme, sich selbst aus der Situation des Kindes zu sehen. Aber für genau diese Väter war das schon was Novum und war das ein Novum und hat dazu gebracht, Dinge anders zu sehen, auch aus der Perspektive des Kindes zu sehen, ne? Also wenn man mit einem Kind spricht, vielleicht wirklich auch runterzugehen auf Augenhöhe, im physischen Sinne auf Augenhöhe. Und da hat es für diese Väter schon sehr viel gebracht.
Endbericht des Projekts „Praxisforschung für nachhaltige Entwicklung interkultureller Väterarbeit in NRW“ ZfTI-Väterprojekt-Evaluation