Heiner, du hast bei der Fachtagung im November die Dialogrunde und den Workshop im Themenfeld ‚Bildung und Erziehung‘ moderiert. Eine der Visionen, die in der Dialogrunde formuliert wurde, lautet: ‚Elterngeld nicht individuell, sondern aus dem gemeinsamen Elterneinkommen berechnen‘. Welche Vorteile bringt das für Väter?
Die ungleiche Verteilung der Erwerbseinkommen in Deutschland begünstigt immer noch eine klassische Rollenverteilung nach der Geburt: Mütter betreuen die Kinder und Väter sorgen für das Familieneinkommen. Ein Grund der Väter ist die Sorge vor finanziellen Einbußen, wenn sie länger als zwei Monate Elternzeit nehmen.
Um diese Ungleichheit zu lösen, brauchen wir nicht nur individuelle Ansätze in der Familienberatung, sondern auch strukturelle Veränderungen. Die Politik muss das Ehegattensplitting abschaffen und gleichzeitig die Berechnungsgrundlage des Elterngeldes reformieren. Es muss auf Basis des Familieneinkommens erfolgen. Eine Veränderte Berechnungsgrundlage würde Vätern dadurch den Druck nehmen, allein für das Familieneinkommen zuständig zu sein.
Während die Mutter zurück in den Beruf kehrt, entwickelt der Vater in der Elternzeit eigene Fürsorgekompetenzen. Sein väterliches Engagement in der Familie fördert nicht nur eine stabile Beziehung zum Kind. Aktive Väter sind auch eher bereit in die Beziehung und Fürsorge zu investieren, wenn die Elternbeziehung stabil ist. Väterliches Engagement fördert also die Gesunderhaltung der ganzen Familie und ist ein versteckter Gewinn für alle.
Welche Bedeutung kommt der Familienbildung im Hinblick auf eine partnerschaftliche Aufgabenteilung zu?
Die Geburt des ersten Kindes stellt Familien vor neue Herausforderungen. Vater und Mutter haben kaum Vorstellungen was es heißt, Verantwortung für ein Kind zu übernehmen. Es fehlen Vorbildern und der Wusch nach einer gleichberechtigten Aufgabenteilung in der Familie ist hoch. Kinder kommen aber nicht mit einer Gebrauchsanweisung auf die Welt und nicht immer sind die eigenen Eltern als Ratgeber zur Stelle. Dies kann für Familien vor allem dann sehr belastend sein, wenn der Start ins Leben für das Kind schwierig war und Unterstützungsnetzwerke fehlen. Viele Familien leben nach der Geburt ein traditionelles Familienmodell und stellen mit Erschrecken fest, dass sie es so nie wollten.
Angebote der Familienbildung ermöglichen es Eltern, Kompetenzen zu entwickeln und eine enge Eltern-Kind-Bindung aufzubauen. Traumata, Sorgen und familiäre Herausforderungen können in Gruppen oder Einzelgesprächen aufgefangen und bearbeitet werden. Studien belegen, dass eine stabile Elternbeziehung das Engagement von Vätern in der Familie erhöhen. Familien- und Paarberatungen begleiten Eltern daher auf dem Weg in ein gleichberechtigtes und harmonisches Familienleben. Gleichzeitig braucht es aber auch väterspezifische Angebote, die Kompetenzen vermitteln und Austausch mit anderen Vätern ermöglichen. Denn nur mit ungleichen Angeboten schaffen wir es, die ungleiche Verteilung von Erwerbs- und Familienarbeit zu beenden.
Was braucht Familienbildung, damit sie dieser Aufgabe gerecht werden kann?
Väter haben keine Zeit, vormittags mit ihren Kindern an Krabbelgruppen oder Babymassage-Kursen teilzunehmen. Anders als Mütter kommen Väter eher selten bis gar nicht mit konkreten Erziehungsfragen in eine Beratung. Väter nutzen die Angebote vor allem, um Zeit mit ihren Kindern zu verbringen. Sie besuchen am Wochenende Babyschwimmkurse oder Bewegungsangebote. Selten kommen sie dabei in den Austausch mit anderen Eltern, denn die Aktivität mit dem Kind steht im Mittelpunkt.
Angebote der Familienbildung müssen sich an der Lebenswelt von Familien orientieren. Väter müssen dabei als gleichberechtigte Akteure in der Erziehung verstanden werden. Es reicht nicht, Familienangebote anzubieten, zu denen vornehmlich Mütter kommen. Es braucht vielmehr spezifische Angebote und väterorientierte Ansprachen.
Eine spezifische Väter-Gruppe wird meines Erachtens konsequent ignoriert. Getrenntlebende Väter haben oftmals nicht die Räume, Ressourcen und Kompetenzen, wenn sie Zeit mit ihren Kindern verbringen wollen. Hier braucht es in der Familienbildung neue Angebote, damit Beratung und Begleitung für Väter und Kinder möglich wird. Dieses Feld sollte keine Väterlobby übernehmen, sondern muss in das Netzwerk der Familienbildung angebunden sein.
Auch wenn Peer-Consultants eine wichtige Gruppe im Beratungsspektrum sind, braucht es gut ausgebildetes Fachpersonal. Letztendlich braucht es viel mehr männliche Erzieher und Sozialarbeiter in der Familienbildung. Männer, die als kompetente Ansprechpartner mit eigenem Bezug zum Thema gelesen werden.
Wie können Angebote für Väter zum Thema ‚Partnerschaftlichkeit‘ aussehen bzw. gestaltet sein?
Damit echte Gleichberechtigung gelingt, brauchen wir die Männer in der Sache. Ohne sie geht es nicht. Ich bin fest davon überzeugt, dass wir dieses Ziel mit väterorientierten Angeboten erreichen. Ich denke an regelmäßige Gesprächskreise, in denen Väter sich über Themen wie Vaterschaft, Erziehung, Vereinbarkeit oder Partnerschaft austauschen.
Diese Treffen können feste Themen haben oder offen sein. Wichtig ist mir zu betonen, dass es sich hierbei nicht um Männerrunden oder einen Stammtisch handelt. Die Lebenswelt der Väter, die eigene Prägung und die Auseinandersetzung mit den eigenen Vorbildern stehen im Fokus. Denn Vaterschaft ist mehr, als ein guter Vater zu sein. Es ist immer auch eine Reflexion der eigenen Biografie und Vorbildern.
Idealerweise werden diese Runden von einer männlich sozialisierten Person begleitet und moderiert. Sie versteht die Lebenswelt und Sozialisation von Männern und Vätern. Erst dann können Gefühle, Sorgen und Wünsche verständnisvoll ausgesprochen und vertrauensvoll besprochen werden. Mit den Erkenntnissen aus diesen Treffen lassen sich neue Wege in der Vereinbarkeit, Partnerschaftlichkeit und Fürsorgearbeit gehen. Väter wollen sich mehr beteiligen und brauchen entsprechende Angebote.
Was muss sich deiner Meinung sofort verändern, damit Familienbildung in den nächsten Jahren auch Väterbildung ist bzw. wird?
Familienpolitik braucht viel mehr Geld und Ressourcen, um die Versäumnisse der letzten Jahrzehnte aufzuholen und die Bildungsangebote zukunftssicher zu gestalten. Wie so oft gibt es auch hier kein Erkenntnisproblem, sondern ein Umsetzungsproblem. Konkret sollte die Politik viel Geld in ein langfristiges Programm stecken, um mehr männliche Erzieher und Sozialarbeiter für die Familienbildung zu gewinnen.
Die Familienbildung im Speziellen und die Soziale Arbeit im Allgemeinen tut sich immer noch schwer damit, Werbung für ihre Sache zu machen. „Gutes tun und darüber sprechen“ liest man hinterher in der Zeitung über eine Maßnahme. Der allgemeine Tenor lautet auch: „Wir können Angebote machen, aber die Väter müssen auch wollen.“ Ja, wir können diese Angebote machen, aber wir müssen uns auch hinterfragen, ob die Angebote unsere Zielgruppe überhaupt erreichen. Wir leben in einer digital vernetzten Welt und niemand liest mehr Zeitung. Das Leben findet im Internet statt. Wir müssen viel mutiger werden, bezahlte Werbung in den Sozialen Medien zu schalten. Dafür braucht es ebenfalls Geld und Know-How. Statt Flyer zu drucken, die niemand liest, braucht es Target-Marketing, also zielgruppenspezifische Werbung.
Zuletzt müssen Väterorientierte Beratungsangebote auch an Zeiten stattfinden, an denen Väter erreichbar sind. Das bedeutet nicht nur am Wochenende, sondern auch abends. Für die wachsende Zahl an Vätern in Elternzeit könnten Angebote auch am Vormittag stattfinden. Und warum nicht auch Online?
Ich bin auf die weitere Entwicklung gespannt und freue mich, meinen Teil dazu beizutragen.
Heiner Fischer (38) ist Sozialarbeiter M.A. und arbeitet als selbständiger Väter- und Unternehmensberater. Über seine Plattform Vaterwelten.de bietet er Gesprächskreise, Kurse und Fortbildungsangebote an. Zusammen mit seiner Frau und den gemeinsamen Kindern lebt er in Krefeld am Niederrhein.
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